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"Bewegung ist meine bewusste Verbindung zum Leben"

Manale Ganiere wurde von einer Anwältin in Singapur zu einer Yogalehrerin, die jetzt in der Schweiz lebt. Sie erklärt ihre Herangehensweise an Bewegung und die Vorteile der home Praxis.
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Frau beim Yoga in der Natur
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"Bewegung ist meine bewusste Verbindung zum Leben"

1. Wie ist Yoga in dein Leben gekommen?

Ich arbeitete als grenzüberschreitende Rechtsberaterin in Singapur, als ich Ende 2015 zum ersten Mal mit Yoga in Berührung kam. Zuerst habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Die Kurse fanden im Büro statt, und ich musste etwas für meine körperliche Gesundheit tun. Ich war neu auch Mutter und hatte eine sehr schwierige Geburt, die zu chronischen und unerträglichen Rückenschmerzen führte. Kein Arzt, keine Medizin, keine Schmerzmittel konnten diese Schmerzen lindern. Es war anstrengend. Es schien also das Richtige zu sein, das ich damals tat. Ich ahnte nicht, dass diese "Sache" die Tür zu Gesundheit, Selbstliebe und Veränderung öffnen würde.

Im Juli 2016, nach einer Familienreise nach Bali, wurde Yoga zu meinem wöchentlichen Rendezvous für die Selbstpflege. Es war nicht verhandelbar. Weder meine Tochter noch mein Mann konnten das ändern. War das schon ein Hinweis? Ganz bestimmt, auch wenn ich es damals noch nicht erkannte. Es war einfach etwas, das ich gerne tat und das mich langsam wieder zum Leben erweckte.  

Während dieser wöchentlichen Yogakurse im Freien lernte ich unglaubliche Menschen kennen, die mich in die Yoga-Gemeinschaft von Singapur einführten. Und dort habe ich meine Praxis und mein Wissen über Yoga vertieft. Ich lernte unglaubliche, aufmerksame und grosszügige Menschen kennen. So war es keine Überraschung, als eine meiner Freundinnen mich bat, mich bei ihr für die Yogalehrerausbildung anzumelden. Zu diesem Zeitpunkt praktizierte ich Yoga seit weniger als einem Jahr und nur einmal pro Woche. Aber mein Mann – der den Hinweis gesehen und schon viel früher als ich Klarheit hatte – ermutigte mich, es zu tun.

Ich machte die Ausbildung und wurde im Juni 2017 zertifizierte Yogalehrerin. Im August 2017 habe ich mein Beratungsgeschäft aufgegeben und im Oktober 2017 wurde ich Vollzeit-Yogalehrerin. Seitdem habe ich nie wieder zurückgeschaut. Ich hatte keine körperlichen Schmerzen mehr; ich war mir meiner einschränkenden Glaubenssätze und meiner Kindheitswunden bewusst. Ich hatte endlich den Mut zu fühlen, zu sehen und bewusst auf mich zu hören, so dass ich anfangen konnte, emotional, körperlich und von ganzem Herzen zu heilen.

Es mag kitschig und repetitiv klingen, aber diese Reise hat mir gezeigt:  

  1. was immer sich in meinem Herzen wie ein "Ja" anfühlt, ist der richtige Weg, ganz gleich, was andere sagen,
  2. das Leben ist eine unendliche Geschichte von Enden und Anfängen, also schnall dich an und geniesse die Fahrt,
  3. es ist nie zu spät, auf sich selbst aufzupassen und
  4. es ist in Ordnung, nicht alles zu wissen und es nach und nach herauszufinden (hallo "Impostersyndrom", alter Freund).  

Ich hatte meinen Weg von einer fixen Denkweise gefunden: "Du bist ein Jurist und musst alles perfekt wissen" zu einer wachstumsorientierten Denkweise: "Folge deiner Intuition – Fehler sind erlaubt und willkommen". Das fühlte sich sehr befreiend an.

Neugier und Intuition stehen im Mittelpunkt meines Unterrichts, und Freiheit ist der Wert, den ich im Leben am meisten schätze.  

2. Wie gehst du an die Bewegung heran? 

Für mich ist Bewegung Leben. Wenn du dich nicht bewegst, fühlst du nicht. Wenn du nicht fühlst, bleibst du stecken. Wenn du feststeckst, kannst du dich nicht bewegen. Wenn du dich nicht bewegen kannst, bist du nicht lebendig. Das Leben hat seine Höhen und Tiefen. Das Leben bleibt nie gleich. Meiner Meinung nach ist es eine Illusion zu glauben, dass Perfektion ein Ziel ist und dass alles permanent ist. Im Gegenteil, alles ist in Bewegung und verändert sich. Ich bewege mich, um mich zu befreien, um meinen Körper zu spüren und mich mit ihm zu verbinden. Sie muss nicht intensiv, stark oder schmerzhaft sein. Sie muss einfach nur fliessen und im Einklang mit meinen Bedürfnissen sein. Manchmal muss ich mich anstrengen und meine körperliche Praxis intensivieren, ein anderes Mal brauche ich mehr Heilung und Entschleunigung, und dann bewege ich mich langsam und achtsam. Ich denke, Bewegung ist meine bewusste Verbindung zum Leben.  

Yogalehrerin Manale Garniere beim Yoga

3. Was sind deiner Meinung nach die grössten Vorteile einer regelmässigen Yogapraxis?

Der grösste Vorteil einer regelmässigen Yogapraxis ist die Selbsterkenntnis in Körper und Geist. Sich seiner selbst bewusster zu werden, ist der erste Schritt des persönlichen Wachstums und kann zu dauerhaften Veränderungen und Heilung führen. Dies ist eine Praxis, die sehr unbequem sein kann, denn es erfordert Demut und Stärke, sich zu öffnen, tief in sich zu gehen und sich mit dem auseinanderzusetzen, was man sieht, fühlt und beobachtet. Je bewusster du wirst, desto besser bist du in der Lage, deine Gefühle, Emotionen und Reaktionen zu regulieren. Dies wird sich eindeutig auf dein Verhalten und deine Handlungen auswirken. Das geschieht auf der Matte genauso wie ausserhalb der Matte.  

Yoga fordert deine Kraft, deine Flexibilität, deine Ausdauer, aber auch deine Gedanken, dein Verhalten und dein Selbstverständnis heraus. Wenn du Yoga konsequent praktizierst, kannst du deine Emotionen besser verstehen und regulieren. Du bist dann in der Lage, auf einer tieferen Ebene zu verbinden und zu erkennen, was genau vor sich geht, um reagieren zu können, anstatt nur zu reagieren. Das schafft Chancen für Durchbrüche und Raum für Rückschläge. So kannst du die notwendigen Veränderungen vornehmen.

4. Welchen Aufbau, welche Häufigkeit und welche Übungen empfiehlst du für die Yogapraxis zuahause? 

Der wichtigste Schritt vor dem Aufstellen ist die Formulierung einer Absicht: "Wohin die Absicht geht, fliesst auch die Energie", pflegte mein Lehrer zu sagen. Zuerst setzt du dir eine starke, klare und positive Absicht für deine home Praxis, dann setzt du sie in die Tat um, indem du dich aufstellst. Das Setup ist ein Ort, an dem du dich wohl fühlst und frei bist, verletzlich zu sein, dich zu bewegen und Spass zu haben. Hier rollst du deine Yogamatte aus (es ist hilfreich, wenn dir die Yogamatte farblich und stofflich gefällt) und lasst sie auch dort liegen. Es dauert nämlich nur 5 Sekunden, auf die Matte zu steigen und sich zu bewegen, wenn sie schon da ist. Wenn du dich extra anstrengen musst, um sie aufzustellen, wirst du es wahrscheinlich nicht tun.  

Also aufstellen und liegen lassen!  

Es gibt so viele Regeln und Meinungen über die Häufigkeit. Die meisten meiner Lehrer üben zum Beispiel täglich zuhause oder in einem Studio. Ich praktiziere nach meiner Absicht und Intuition. Das ist nicht immer gleich, aber es richtet sich immer nach dem, was ich fühle und was ich brauche. Wenn es deine Absicht ist, täglich zu üben, um ein bestimmtes Niveau zu erreichen, dann ist es das, was du tun musst. Gestalte deine eigene Praxis, sei stolz auf das, was du täglich tust, sei hier für dich selbst und steige täglich, wöchentlich oder monatlich auf deine Matte. Wenn Yoga das ist, was du brauchst, wirst du deinen Weg finden und es wird sich auch lohnen. Wenn du Anfänger bist, besteht die beste Übung darin, die Sonnengrüsse (A und B) zu lernen und sie so oft zu wiederholen, wie du willst, mit oder ohne Musik, schnell oder langsam in den Posen. Dies ist schon eine tolle Übung. Wenn du fortgeschrittener bist und nicht weisst, wie du mit deiner Yogapraxis zuhause starten sollst, nimm die Sonnengrüsse A und B und füge ein paar Hacks hinzu! Sei kreativ mit dem, was du weisst. Verwende die Grundlage und füge deine Lieblingsposen hinzu. Wenn ich zuhause übe, benutze ich Musik, um den Takt zu spüren und in Bewegung zu kommen. Der Sonnengruss ist immer ein guter Startpunkt.

5. Welche Art von Ernährung empfiehlst du vor oder nach der Praxis?

Vor der Praxis würde ich keine schwer verdaulichen Lebensmittel wie zum Beispiel Fleisch essen. Ich mache mir normalerweise ein Smoothie mit Beeren, Spinat und Datteln. Nach der Praxis würde ich ein wenig warten, bevor ich etwas esse. Ich glaube, dass der Körper Zeit braucht, um den Energiefluss zu verarbeiten, der durch die Praxis entstanden ist. Sobald ich das Gefühl habe, dass meine Energie ausgeglichen ist, esse ich normalerweise, was ich will. Ich achte nicht allzu sehr darauf, solange es gesund ist und ich es will. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich nach einer Übung Heisshunger hatte (bei mir gehts dann meistens um Chips). Da warte ich ab, bis es vorbei ist, und wenn es nicht vorbei geht, gebe ich nach, oder wenn ich Zeit habe, setze ich mich hin, um zu verstehen, was passiert und was mein Körper mir sagt. Ich weiss, dass das alles Teil des Prozesses ist und es keine Perfektion gibt. Normalerweise folge ich meiner Intuition und entdecke weiter. So weiss ich, dass ich vor einer intensiven Übung am Abend einen Smoothie trinken und Eiweiss hinzufügen werde. Wenn meine Praxis am Morgen stattfindet und ich möchte, dass sie sanft fliesst, ohne zu drängen, werde ich fasten. Wenn meine Praxis mitten am Tag stattfindet und ich Energie brauche, esse ich zwei Stunden vorher eine Mahlzeit und achte darauf, dass ich Eiweiss wie Linsen, Quinoa, Lachs, Avocado und Gemüse esse.  

Und manchmal plane ich überhaupt nichts und esse, was ich will. Auf diese Weise erfahre und lerne ich, was für mich funktioniert und was nicht. Ich wünschte, es gäbe eine klare und eindeutige Antwort darauf, aber ich fürchte, die gibt es nicht. Und deshalb ist die nächste und letzte Frage sehr wichtig.

6. Wie sehr identifizierst du dich mit dem Ansatz der intuitiven Ernährung?

Ich identifiziere mich sehr mit dem intuitiven Essen. Wie bereits erwähnt, sind Neugier und Intuition der Kern meiner Arbeit. Das ist auch die Art und Weise, wie ich lehre und lebe. Deshalb war die intuitive Ernährung eine so wichtige Entdeckung für mich. Sich mit seinem Körper zu verbinden und auf ihn zu hören, auf seine Bedürfnisse und sein Verlangen. Jede Art von Essen ohne Scham oder Schuldgefühle zu geniessen – das ist Freiheit. Meinen Hunger zu respektieren, meine Sättigung zu spüren und zu lernen, mit meinen Emotionen auf andere Weise als mit Essen umzugehen, sind neben anderen Prinzipien einige der stärksten Lektionen. Vor allem der letzte Punkt geht mir sehr zu Herzen.  

Deshalb ist die Selbsterkenntnis der wichtigste Nutzen von Yoga! Bewusst zu sein und in der Lage zu sein, Emotionen zu erkennen, ihnen zuzuhören und mit ihnen zu leben, bringt Veränderung! Es gibt Zeiten, in denen ich mit meinen Emotionen nicht umgehen kann. Vielleicht sind sie zu frisch und schmerzhaft, um sie zuzulassen. In diesen Momenten gebe ich vielleicht dem Impuls nach und komme später darauf zurück. Die Stärke des intuitiven Essens ist, dass es Teil eines Prozesses ist. Es gibt keine Scham und keine Schuldgefühle. Tu es mit Anmut, mit Stil und mit Freundlichkeit. Sei dir bewusst, dass du damit Raum für die Reaktionen und die Bewusstwerdung schaffst. Dieser einladende Raum wird zu Mitgefühl, Liebe und Heilung führen. Dies ist keine Diät, keine schnelle Lösung. Dies ist ein Lebensstil, der Übung, Versuch und Irrtum erfordert. Der Aufbau von Bewusstsein braucht Zeit. Sei also geduldig mit dir selbst und verbinde auf einer tieferen Ebene.  

Originalsprache: Englisch

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